Im Jahr 1973 war Richard Pinhas 22 Jahre alt und auf dem
besten Weg, von Beruf Philosoph zu werden. Er stand kurz
vor dem Abschluss seiner Doktorarbeit und hatte seinen ersten Lehrauftrag an der Sorbonne bereits in der Tasche. Allerdings hatte er auch ein Hobby, nämlich Stücke zu schreiben und sie in Eigenregie aufzunehmen. Er schickte ein Demoband an das britische Label E.G., das unter anderem
auch King Crimson und Roxy Music unter Vertrag hatte.
E.G. war interessiert, wollte aber ein ganzes Jahr mit der
Veröffentlichung warten.
Das dauerte Pinhas zu lange, also gründete er selbst ein Label und brachte 1974 sein erstes Album auf den Markt. Er
gab seinem Projekt den Namen »Heldon«, nach einem Ort
in Norman Spinrads 1972 erschienenem Science-Fiction-Roman »Der stählerne Traum«. Vermutlich war »Electronique
Guerilla« die erste selbst veröffentlichte Rockplatte in Frankreich. »Oder zumindest die erste, die funktioniert hat«, sagt
Pinhas. »Sie war jedenfalls ein musikalisches und zugleich
ein politisches Ereignis. Musikalisch, weil es damals in
Frankreich, aber auch im Rest der Welt, kaum jemanden
gab, der Synthesizer-Musik gemacht hat. Und politisch, weil
wir damit ausdrücken wollten, dass die Großkonzerne alles
zerstören. Und dass ihre Schallplatten viel zu teuer sind.«
Für den Großteil des Albums zeichnet Pinhas allein verantwortlich, nur für »Ouais, Marchais, Mieux Qu’en 68« hat er
insgesamt fünf Mitstreiter ins Boot geholt, darunter auch einen seiner Förderer, Gilles Deleuze. Verschnörkelte Gitarrenklänge und ein klares, präzises Schlagzeug bilden den
Hintergrund, vor dem der französische Philosoph Texte aus
Friedrich Nietzsches »Der Wanderer und sein Schatten«
liest.
Obwohl er »Electronique Guerilla« im Selbstvertrieb vermarkten musste – und die Platten oft genug eigenhändig an
die Geschäfte auslieferte –, waren schnell über 19.000 Exemplare verkauft. Pinhas war überzeugt, dass das der richtige Weg sei. Er wollte weiter Musik machen und veröffentlichen. Allerdings blieb dadurch kaum mehr Zeit für die Philosophie. »Ich musste mich entscheiden. Damals konnte man
in Frankreich nicht zwei Jobs gleichzeitig haben«, erinnerte
er sich. »Also habe ich mich für die eindeutig schlechtere
Variante entschieden und bin Rock’n’Roll-Musiker geworden.« Es ist eine Entscheidung, die mittlerweile seit vier
Jahrzehnten Bestand hat. Und der Startschuss dafür war
das energiegeladene Album »Electronique Guerilla«.
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